Interview-Partner: Katrin Bühring [Schauspielerin, Autorin]
🐧 Hallo Katrin, was haben Stuttgart, Zürich und Recklinghausen gemeinsam?
🌲 In allen drei Städten gibt es hervorragende Bühnen, die nach meinem vierjährigen Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Hannover fünf Jahre lang das Fundament meiner schauspielerischen Arbeit festigten.
🐧 Was bedeutete Theater nach Deinem Studium für dich?
🌲 Es ging darum, das Gelernte im Studium in einem laufenden Theaterbetrieb in die Praxis umzusetzen, raus auf die Bühne zu gehen, immer wieder, um dort zu spielen, zu spielen und noch mal zu spielen. Ich zehre bis heute von den Erfahrungen, auch wenn ich schon seit vielen Jahren nicht mehr auf der Bühne stehe. Doch auch wenn die Zeit sehr schön und intensiv war, konnte mir auf Dauer kein Leben vorstellen, in dem ich regelmäßig umziehe, je nachdem wo ich gerade engagiert bin. Ich konnte mir auch kein Leben vorstellen, das ich größtenteils dem Theater widme, denn wenn man fest am Theater ist, muss man das. Das Leben findet hauptsächlich auf der Bühne, in der Garderobe, in der Maske und in der Kantine statt – der Tag ist zum größten Teil mit Proben und abendlichen Vorstellungen ausgefüllt. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich gar nichts mehr außerhalb vom Theaterbetrieb erlebe, um davon dann auf der Bühne erzählen zu können.
🐧 Du hast aber auch immer gedreht, also vor der Linse gestanden. Was ist aus deiner Sicht deine größte Rolle – bisher?
🌲 Ich hatte das Glück, dass ich im ersten Jahr meines Studiums meine erste Hauptrolle in einem ZDF-Film spielen durfte. Meine Mutter war gerade gestorben, meine Familie brach auseinander und ich konnte so wenigstens mein Studium finanzieren. Das gab mir Halt und eine Perspektive.
Natürlich spielte ich im Verlauf meiner Karriere nicht immer Hauptrollen, denn die Karriere eines Schauspielers hat immer mal wieder Wendungen und schon früh interessierte ich mich für das Schreiben. Aber ich hatte immer mal wieder große Rollen, die mir wichtig waren: Die Julia in dem Film „Romeo“, für die ich den Grimme Preis bekam, meine Rolle in dem 4-Teiler „Jahrestage“ von Margarethe von Trotta, die KHM-Produktion „Mama told me not to look into the sun“ von Lilli Tautfest, ein Film, in dem es um das Tabuthema Gewalt in der Pflege ging oder die Rolle der Margarethe von Losein, eine feste Rolle in der für das polnische Fernsehen produzierten historischen Serie „Wojenne Dziewczyny“, die im zweiten Weltkrieg spielt. Das waren alles wunderbare Rollen, die mein Leben bereichert haben. Geschenkte Lebenserfahrung nannte ich das einmal in einem Interview für Theater heute nannte.
🐧 Nun bist du hier im Pinguin Interview aber gar nicht, weil du schauspielerst, sondern weil du in diesem Jahr dein erstes Kinderbuch herausgebracht hast.
🌲 Das war schon im letzten Jahr. Im Oktober 2020 haben wir „Abie Alba – Der große Traum vom Weihnachtsbaum“ veröffentlicht.
🐧 Ach siehst du, an das zweite habe ich bei der Frage gedacht, aber erzähl weiter.
🌲 „Abie Alba – Weihnachten am Strand“ – ja, das haben wir vor drei Wochen veröffentlicht. Wir bekamen so ein großes Feedback von Eltern und Kindern für Band 1, dass ich mich bereits im Januar 2021 dazu entschieden habe, Band 2 zu schreiben. Ich etablierte damit Abie Alba als Kinderbuchreihe.
🐧 Wie sieht es mit einem Verlag aus?
Natürlich hatte ich mit mit Band 1 um einen Verlag bemüht, zusammen mit Sebastian Richter vom Verlag der Autoren – ich werde dort als Drehbuchautorin vertreten. Aber renommierte Verlage lasen, wenn überhaupt, die Inhaltsangabe und die ist bei Abie Alba nicht so prickelnd. Mit dem Ausbruch von Corona wusste ich dann, dass ich es jetzt total vergessen kann. Ich schaute mir im ersten Lockdown an, was es für verlagsunabhängige Strukturen gibt und entschied ich mich, Abie Alba ohne Verlag bei BoD herauszubringen.
🐧 Darf ich kurz zwischenfragen wer „wir“ ist?
🌲 Der schönste Zufall der Welt brachte mich mit Lisa Sauerborn, meiner Illustratorin zusammen: Lisas Büro liegt direkt bei mir um die Ecke. Ich hatte es jedoch nie wahrgenommen, weil ich durch die Straße, immer nur am Wochenende zum Brötchenholen gehe. Da sind die Rollos immer unten. Doch einmal, unter der Woche, kam ich dort vorbei. Ich sah in ihrem Schaufenster die Zeichnung einer Eule. Meine kleine Schwester liebt Eulen. Also blieb ich stehen, um ein Foto zu machen. Dann las ich Atelier, Illustrationen und den Spruch „Ich male dir alles außer Hakenkreuze“. Ich fragte Lisa an, sie sagte zu und wir legten los. Mittlerweile haben wir aber auch eine Layouterin, Katrin Friedmann. Und Ralf Büsch kümmert sich um unsere Webseite. Ich arbeite mit Übersetzern zusammen, und natürlich mit vielen Testleserkindern und -eltern.
🐧 Ohne Verlag macht ihr alles selbst. Liegt Euch das?
🌲 Ja, Autonomie und Selbstbestimmtheit, das ist genau unser Ding. Machen. Nicht warten. Menschen in Arbeit bringen, anleiten, motivieren.
🐧 Die Vorzüge eines Verlags sind die Erfahrung und Verbreitungsstrukturen. Was fehlt euch ohne Verlag?
🌲 Verlagsunabhängig bedeutet die PR selbst zu machen. Das ist eine große Aufgabe in die man erst mal reinwachsen muss. Beharrlichkeit zählt, immer wieder an die Türen klopfen, wie unser Bäumchen in der Geschichte. Verlagsunabhängig bedeutet aber auch zeitnah und unkompliziert Veröffentlichungen zu realisieren. „Abie Alba – Der große Traum vom Weihnachtsbaum“ haben wir zum Beispiel als Sonderausgabe für HORIZONT e.V. herausgebracht. Die Aktion dauerte zwei Tage. Pro verkauftem Buch fließen 3 Euro Spende an den Verein. Jutta Speidel hat den Verein 1997 gegründet. Er setzt sich in München für obdachlose Kinder und deren Mütter ein. Unsere Bücher werden mit Testleserkinder und Eltern zusammen entwickelt, deren Ideen und Gedanken mit in die Kinderbuchreihe mit einfließen.
🐧 Wie finanziert Ihr Euch, was ohne Verlag eine durchaus wichtige Frage ist, oder?
🌲 Bei Band 1 habe ich finanzielle Unterstützung bekommen, von einer Frau, die post mortem die Illustrationen finanziert hat. Ihr habe ich das Buch gewidmet. Bei Band 2 habe ich den Mut zusammengenommen und ein Crowdfunding gestartet. Ich konnte so Illustrationen, Layout und die Überarbeitung unserer Webseite vollständig finanzieren. Alleine hätte ich das nicht stemmen können. Ab Januar 2022 schreibe ich Teil 3. Keine Ahnung, wie ich das finanziere, aber irgendeinen Weg werde ich schon finden. Wenn Du eine Idee oder Sponsoren hast, sag Bescheid.
🐧 Hand auf‘s Herz, würdest du doch noch zu einem Verlag wechseln, wenn sich die Gelegenheit bieten würde?
🌲 Nein. In meinem Buch zieht mein Bäumchen seine Wurzeln aus der Erde und macht sich für sein Traum Weihnachtsbaum zu werden auf den Weg. Ich habe das im Grunde auch gemacht. Dafür steht mein Buch. Dafür stehe ich. Sei mutig. Geh deinen Weg. Mach es anders als die Bäume vor Dir, vorvor Dir und vorvorvor Dir. Zieh die Wurzeln aus der Erde und lauf los.
🐧 Ein sehr schönes Bild. Vorher hast du aber auch schon geschrieben, Stichwort Drehbuch.
🌲 Ja, ich habe Drehbuch geschrieben und auch Drehbuchschreiben gelernt – ein Studium, das natürlich sehr hilfreich war beim Kinderbuchschreiben, denn eine gute Idee reicht nicht. Du brauchst eine Geschichte. Ein Anfang, einen Mittelteil und ein Ende. Ein gutes Ende, das das kleine und große Lesepublikum beflügelt ein bisschen fliegen lässt. Gerade im Kinderbuchbereich!
Viele denken: „Ist doch nur für Kinder“, aber gerade Kinder sind sehr ehrlich. Entweder du hast sie und sie hören Dir zu oder nicht. Im Bereich Drehbuch liebe ich das Genre Komödie, auch eine Königsdisziplin, denn über Humor lässt sich bekanntlich streiten. Meine Komödie „Ich will (k)ein Kind von Dir“ lief jedoch sehr erfolgreich – 17 Mal in der ARD. Es war eine Freude, sie zu schreiben, auch wenn es unfassbar viel Arbeit war. (Noch bis Mai 2022 in der ARD Mediathek.)
🐧 Deutsche Produktionen sind meist komisch oder kriminell, hättest du eine Idee, die da einfach mal aus dem Rahmen fällt?
🌲 Ich schreibe seit drei Jahren in anderen Formaten, einfach weil Ideen, die „aus dem Rahmen fallen“, es als Einzelstück oft schwer haben. Im Kino oder im Independentbereich gibt es oft Perlen, aber man verdient kaum Geld damit. Das Fernsehen traut sich oft zu wenig. Es gibt wenige mutige Entscheidungsträger. Und ja – Krimis – ich verdiene als Schauspielerin hauptsächlich mein Geld damit. Zum Glück! Aber oft kommen mir Krimis ein wenig lebensfremd vor, oder kennst Du persönlich jemanden, der schon mal umgebracht wurde.
🐧 Leider ja, aber dann doch so weit aus der Ferne, dass ich das hier eher nicht erzähle.
🌲 Oh, das tut mir leid zu hören. Und ja, das würde den Rahmen hier sprengen.
🐧 Hättest du vielleicht einen Gedanken dazu, warum die Kategorien komisch und kriminell hierzulande so gut funktionieren?
🌲 Beim Krimi ist das einfach zu beantworten: Der Zuschauer weiß schon am Ende wie es ausgeht. Der Mörder wird gefunden – so lautet der „Publikumsvertrag“. Die Auflösung ist mal mehr, mal weniger spannend, aber am Ende kann man gut zu Bett gehen.
🐧 Und bei einer Komödie?
🌲 Da lautet der „Publikumsvertrag“ Zerstreuung, gute Unterhaltung, Lachen und Entspannung vom Alltag. Darauf kann man sich gut einigen. Und wenn eine gute Komödie gut gemacht ist – wunderbar. Viele Komödien sprechen mich jedoch nicht an.
Und wenn es etwas anspruchsvoller sein soll, streame ich eh bei Mubi oder ziehe mir gute Serien rein, die es hier auf dem deutschen Markt nur selten gibt.
🐧 Aber es gibt sie?
🌲 Durchaus! „Druck“, „Der Club der roten Bänder“, „Wir“, „Fritzi – Der Himmel muss warten“, „Babylon Berlin“, oder „Bad Banks“ – das sind alles Lichtblicke in der deutschen Serienproduktion! Und Du kennst bestimmt auch welche, oder? Welche magst Du?
🐧 Die erste Staffel „Babylon Berlin“ habe ich gesehen, bis auf ein paar Kleinigkeiten finde ich die richtig gut gemacht, ich bin aber auch Tom Tykwer Fan seit „Heaven“ – Film, keine Serie. Ganz andere Kategorie „Tatortreiniger“ mit Bjarne Mädel, ich find‘s genial. Ansonsten gucke ich grundsätzlich deutsche Krimiserien, ich möchte keine speziellen nennen, ich gucke sie gerne, aber als Lichtblicke würde ich die nicht betiteln, halt solide seichte Unterhaltung. Das muss nicht schlecht sein, aber es ist eben kein gehobener Anspruch. „Bad Banks“ habe ich ein Stückweit gesehen, das war sicherlich gut gemacht, aber das Thema hat mich nicht gepackt.
🌲 Das Ensemble der Serie „Wir“ liest übrigens Band 1 unserer Kinderbuchreihe auf YouTube: www.youtube.com/watch?v=HzTquupzy4k
Es sind so viele Lesungen für Kinder in der Vorweihnachtszeit ausgefallen. Deswegen freue ich mich um so mehr über diese beherzte Initiative.
🐧 Aber noch ein bisschen zu dir, wenn dich deine beste Freundin beschreiben sollte, was würde sie über dich sagen?
🌲 Sie würde sagen, dass ich zuverlässig bin, loyal, ein Stehaufmännchen (-äh, -frauchen). Ich bin großzügig, immer da, wenn sie mich braucht. Ich bin Inspiration und Schulter zum Anlehnen zugleich. Doch ohne dass ich es will, halte ich ihr mit meiner Disziplin und Zielstrebigkeit auch einen Spiegel vor, der manchmal unbequem ist. Wenn ich in die Angst oder Überforderung gehe, ziehe ich mich zurück, anstatt anzurufen. Und ich bin eine schlechte Kranke - wahrscheinlich wegen meiner Mutter.
🐧 Gehst du in Abschnitten durch‘s Leben?
🌲 Ich denke in Zehnjahresdekaden. Ich werfe den Anker voraus und halte Ausschau nach der Frau, die ich in zehn Jahren sein will. Doch mit dem Ausbruch von Corona denke ich mehr in der Gegenwart. Wir wissen, dass wir nichts wissen und vielleicht bin ich in zwei Jahren tot. Meine Mutter ist mit 43 gestorben. Ich habe sie jetzt ein Jahr überlebt. Für mich ist das ein Jahr extra Lebenszeit, denn was eines Tages kommt, weiß niemand.
🐧 Im Grunde schon ein schöner Schluss-Satz, wenn da nicht die obligatorische Frage wäre, die für die Pinguin Interviews einfach nicht fehlen darf. Welches ist dein Lieblings-Tier aus unserer Kalle Pinguin Kinderbuch Geschichte?
🌲 Ich bin Giraffen-Fan. Also entscheide ich mich für Mia!