Interview-Partner: Moe [Übersetzerin]
🐧 Hallo Moe, du hast Kalle Pinguin ins Japanische übersetzt. Die Gelegenheit hat sich über einen gemeinsamen Bekannten ergeben. Du bist Japanerin, also Muttersprachlerin, wohnst in Kyoto. Das Übersetzen ins Japanische ist für mich etwas ganz Besonderes, weil ich mit der Sprache so vorher noch nicht in Berührung gekommen bin und ich damit ganz viel der Geschichte in deine Hände lege.
Wenn Texte aus dem Deutschen ins Englische, Spanische oder Französische übersetzt werden, dann sind die Sprachen zwar unterschiedlich, aber die Sprachherkunft und die Kulturen liegen nicht all zu weit auseinander.
Bei der Übersetzung vom Deutschen ins Japanische sieht das etwas anders aus.
🐈 Die zwei Sprache, die wir gerade behandeln, stammen aus ganz anderen Kulturen. Sprache und Kultur hängen sehr eng zusammen. Sind die zwei Kulturen sehr unterschiedlich, kann eine Wort-für-Wort Übersetzung keine verständlichen Ergebnisse geben. Denn in einer anderen Kultur denkt man anders, drückt sich anders aus, benimmt sich anders. Was man in einer Sprache sagt, ist von der Kultur stark geprägt.
Besonders ist dieses Buch für kleine Kinder, im originalen Text sind viele Details weggelassen. Die Wortauswahl für die Übersetzung ist stark eingeschränkt. Deswegen habe ich dich um den Hintergrund der Geschichte gebeten, um richtig zu verstehen, was du da in der Geschichte mit Kalle erzählen möchtest. Das hat mir beim Übersetzen viel geholfen.
🐧 Du hast aber nicht nur unsere Kalle Pinguin Geschichte übersetzt, du hast mir auch ganz viel über die japanische Sprache beigebracht.
🐈 Ja, weil unsere Sprache ein seltsames Schreibsystem hat. Wir haben drei verschiedene Schriftzeichen: Hiragana, Katakana und Kanji. Beim Schreiben verwenden wir alle drei gemischt.
Hiragana und Katakana sind Silbenzeichen (bestehen aus jeweils 46 Zeichen), sie sind wie euer Alphabet. Damit kann man eigentlich alle japanischen Wörter schriftlich darstellen (Katakana wird hauptsachlich für Fremdwörter benutzt).
Dazu kommt noch ein: Kanji sind die Schriftzeichen, die ursprünglich aus China stammen. Sie sind logografische Zeichen, d.h. ein einzelnes Zeichen stellt einen Begriff dar, z.B. 本 ist ein Kanji für „das Buch“. Durch Kanji können viele Sachen und Dinge, Szene, Bewegungen und Emotionen usw. wiedergegeben werden. Im Chinesischen wird alles ausschließlich mit den Kanji geschrieben, aber im Japanischen braucht man noch Hiragana, um verständliche Sätze zu schreiben (für reflektierte Endungen, Partikel usw.).
Kalle ist ein Kinderbuch für 3, 4-Jährige, deswegen ist die JP-Ver. nur mit Hiragana und Katakana geschrieben, da in Japan Kinder erst mit 6 Jahren eingeschult werden und anfangen, Kanji zu lernen. Kanji soll es in Japan über 50.000 Schriftzeichen geben (in China sogar mehr). Wir müssen in der Schule und später immer wieder sie lernen. Aber keine Sorge, im Alltag, wenn man Zeitschrift lesen möchte, braucht man nur ca. 3.000.
🐧 Dreitausend Schriftzeichen, für einen Japaner oder eine Japanerin mag das nicht viel sein. Ich glaube hier kann sich kaum jemand vorstellen, wie das wäre so viele Zeichen zu lernen, um lesen zu können. Oder andersherum, vielleicht ist der eine oder die andere gerade ganz froh, dass sie nicht so viele Zeichen lernen mussten.
🐈 Ja, das klingt irrational. Warum gibt es so viele Kanji-Zeichen, obwohl man mit Hiragana alles schreiben kann? Kanji sind für uns genauso wie Wörter für euch. Wenn man einen Text lesen möchte, muss man erst die Wörter lernen. Das trifft für alle Sprache zu. Und außerdem haben wir einen Grund Kanji zu benutzen: viele japanische Wörter haben gleiche Lesungen. Ein Beispiel: ein mit Hiragana geschriebenes Wort こうかい, das könnte drei Wörter (zumindest mir eingefallen ist) bedeuten.
1. 公開 (die Veröffentlichung)
2. 航海 (die Seefahrt)
3. 後悔 (das Bereuen/Bedauern)
Weil die drei alle こうかい (Kokai) ausgesprochen werden, werden sie mit Hiragana komplett gleich geschrieben. Sie können sich meistens in dem Kontext unterscheiden, aber mit Kanji wäre der Unterschied klar.
🐧 Wenn es 50.000 Schriftzeichen gibt, im Alltag 3.000 braucht, dann gibt es noch eine Menge Schriftzeichen, die weniger gebraucht werden oder wer verwendet diese Schriftzeichen, die im Alltag nicht gebraucht werden? (Die Frage geht vielleicht in die Richtung, dass es unterschiedliche Schichten oder Bildungsstände gibt oder einfach nur wenige Studierte, die sich mit Historischen Schriften auseinandersetzen – ich kenne den Hintergrund nicht, aber vielleicht kannst du da etwas Licht ins Dunkel bringen).
🐈 Wie erwähnt, Kanji sind logografische Zeichen, jeder hat eine Bedeutung. Stell dir mal vor, wie das Leben in alten Zeiten. Leute haben vielleicht mehr Jagdwaffen und landwirtschaftliche Geräte gebraucht, sie haben mehr das Wetter und die Natur beobachten müssen, und das Lebensmittel war sicher ganz anders als unser heutiges. Dann ist es kein Wunder, wenn wir heute die Wörter, die sie damals häufig benutzt haben, nicht mehr brauchen.
🐧 Nun habe ich mit meinem gereimten Text für eine weitere Schwierigkeit gesorgt. (Du hast mir am 26.07.2020 erklärt, dass das Reimen nicht so wie in einer europäischen Sprache ist, ich finde diesen Aspekt interessant und könnte mir vorstellen, dass ich den auch hier im Interview so als deine Antwort mit aufnehme – ich kopiere das einmal 1:1 hier rein, wenn du das für das Interview so lassen magst, dann ist das gut, wenn du das noch anders schreiben möchtest, dann ändere es bzw. antworte bei der nächsten freien Katze, dann nehme ich die Antwort)
🐈 Im Japanischen gibts auch Reimen, aber es ist etwas anders als europäische Sprache. Wir verwenden da oft Kanji. Wie schon erzählt, japanische Wörter haben oft gleiche Lesungen. Mit solchen Wörtern können wir gut und einfach reimen. Aber für eine nur mit Hiragana geschriebene Kinder-Geschichte wie Kalle ist es doch sehr schwierig, fast unmöglich.
🐧 Warum?
🐈 Erstens, wenn es so gereimt und nur mit Hiragana geschrieben wird, stehen da mehrere komplett gleiche Wörter. Ist doch chaos, oder?
Und wir haben großen Wortschatz wie im Deutschen. Darüber hinaus gibt es Schwierigkeitsstufen für Wortschatz. Die Wörter wie für das Reimen benutzt werden bestehen aus mehreren (meistens zwei) Kanji. Deswegen kennen 3, 4- Jährige Kinder solche Wörter noch nicht.
Zweitens stehen in unserer Sprache am Ende des Satzes grundsätzlich immer das gleiche Wort, „Masu“. In Japanischen gibt es eine höfliche Satzform, Masu-Form. Kinderbücher sind oft in dieser Masu-Form geschrieben. Wenn man in der Masu-Form schreibt, steht „Masu“ oder „Mashita (Vergangenheitsform)“ immer am Ende.
Von daher habe ich stattdessen im Kalle-text möglichst viel Onomatopoesie verwendet. Onomatopoesie, wie „zack zack“ oder „tic tac“, geben dem Text mehr Rhzthmus und Kinder mögen das. Besonders im Japanischen verwenden wir, auch Erwachsene, sehr gerne Onomatopoesie. Man kann schon sagen, ohne Onomatopoesie können wir gar nichts erzählen.
🐧 Hier verbinden viele die Japanische Schrift auch mit schreiben von oben nach unten und von rechts nach links. Auch da konntest du mich aufklären. Diese Schreibweise gibt es, aber im Allgemeinen wird japanisch wie geschrieben?
🐈 Für Japaner ist das Schreiben von links nach rechts (wie europäische Sprache) längst normal. Heutzutage sind Bücher, Magazine, Internetseiten, Lehrbücher, fast alle außer Zeitungen und Romane von links nach rechts geschrieben. Es gibt auch Kinderbücher, die von oben nach unten geschrieben werden, aber der Stil wird oft in alten Märchen oder Klassiker (lehrreich und etwas dunkel) verwendet. Die Atmosphäre passt nicht so gut zu deiner Geschichte.
🐧 Damit ich deine Übersetzung mir zumindest etwas verständlicher machen kann, hast du dir die zusätzliche Mühe gemacht mir den Text noch einmal in Lautschrift zu schreiben.
Das bedeutet, dass du keine japanischen Schriftzeichen verwendest hast, sondern unsere lateinischen Schriftzeichen. Ist die Verwendung üblich, um japanisch in andere Kulturen/Sprachen zu übertragen?
🐈 Es ist benutzt. Das System heißt „Romaji“ (wie Ping-ying in Chinesisch), die wurden erst im 15c. benutzt. Damals kamen Missionaren aus Portugal zu uns. Für Sie war unsere Kanji zu schwer zu lesen, deswegen haben sie versucht, mit ihrem Alphabet unsere Wörter zu notieren. Heute benutzen wir meistens das Romaji-System, um den Bahnhofsnamen oder Ortsname zu schreiben, damit auch die Touristen es lesen zu können.
🐧 Was ist dein Lieblings-Tier aus unserer Kalle Pinguin Kinderbuch-Geschichte?
🐈 Oh, das ist die schwierigste Frage. Ich mag eigentlich alle Tiere - als ein Natur-Fan. Ich kann nicht nur eines nennen.
Alle sind anders, alle leben anders. Jeder hat seinen eigenen Geschmack, wie Mia und Kalle. Jeder hat sein eigenes Tempo, wie der Strauß und Kalle. Jeder hat seine eigene Rolle, wie der Löwe und Kalle. Kalle hat gelernt, dass in dieser Welt verschiedene Tiere zusammenleben. Wir Menschen sind auch ein Teil davon. Ich würde gerne lesen, was er denkt nachdem er am Südpol zurückgekommen ist und was er mit anderen Pinguinen gegen die Eisschmelze macht.