Interview-Partner: Martina Reimann [Schriftstellerin]
🐧 Hallo Martina, du schreibst aus dem Blickwinkel deines Protagonisten, du schreibst dass sich dadurch Einblicke ihres Seelenlebens möglich sind. Ein Seelenleben lässt sich schwer beobachten, hast du da vielleicht ein Stückweit dein eigenes Seelenleben als Erfahrung mit- oder eingebracht?
🐱 Ein Seelenleben ist in der Tat schwer zu beobachten, da es sehr vielschichtig ist. Doch das genaue Hinschauen und Beobachten, kann mir immerhin einige wichtige Teile offenbaren. Um einen Menschen besser zu verstehen, muss man seine Geschichte kennen. Mein Seelenleben spielt dabei bestimmt auch eine große Rolle. Seit meiner Kindheit leide ich an Schlafstörungen und Alpträumen. Vor ein paar Jahren war dies so schlimm geworden, dass ich mich in eine längere therapeutische Behandlung begeben habe. Dort habe ich zum einen gelernt meine Träume zu deuten und zu verstehen, dass manche Albträume gar keine sind. Oftmals enthalten sie nämlich Botschaften. Wenn man sich in einem Traum z.B. ganz knapp vor etwas Schlimmen retten kann, dann zeigt dies, dass man sich auch in der Realität vor etwas retten konnte. So verhält es sich doch auch oft mit dem augenscheinlich schlechten oder unhöflichen Benehmen seiner Mitmenschen. Hinter dem scheinbar Schlechtem steckt etwas völlig anderes. Bei Menschen ist dies in der Regel eine schlechte oder verletzende Erfahrung. Bei Albträumen wie auch bei Menschen muss man sich immer fragen, was dahintersteckt. Ich habe in dieser Zeit sehr viel über mich und dadurch über meine Mitmenschen gelernt. Des Weiteren wurde mir auch schon häufiger gesagt, dass ich überdurchschnittlich empathisch sei und eine gute Menschenkenntnis habe.
🐧 Würdest du dich als Autorin oder eher Schriftstellerin bezeichnen?
🐱 Das ist eine gute Frage, die ich mir tatsächlich öfter stelle. Mein erstes Bauchgefühl sagt mir „Schriftstellerin“. Wenn ich das Wort Autorin für mich verwende, kommt es mir nur schwer über die Lippen, denn ich finde es vermessen mich so zu bezeichnen. Ein Autor ist für mich etwas so Großes, Offizielles. Für mich ist es etwas Alleinstehendes, als wäre ich einzig und allein Autorin. Nun ja, das wäre ich natürlich gerne, aber gegenwärtig bin ich leider noch weit davon entfernt.
Schriftstellerin klingt für mich wohliger, gemütlicher, geschützter. Was eigentlich seltsam ist, da ich doch ständig dafür kämpfe Autorin zu werden. Dennoch bezeichne ich mich instinktiv als Schriftstellerin oder sogar Schreiberling, was eigentlich kein schönes Wort ist. Schreiberling klingt so wenig nach Leidenschaft und Herzblut. Doch von beidem steckt enorm viel in meinen Geschichten. Nun ja, ich bin wohl jemand, der sich gerne still und heimlich über den Seiteneingang in Dinge hineinbegibt. So nach dem Motto: „Sie kam als Schriftstellerin und ging als Autorin.“
🐧 Das finde ich sehr interessant, weil ich das genau andersherum empfinde. Ich bezeichne mich eher also Autor, weil ich „nur“ ein Kinderbuch geschrieben habe, dazu habe ich eher mehr Zeit in die Illustrationen, denn in das Schreiben gesteckt. Für mich ist der Schriftsteller der Spezialist, einfach weil er sich umfassend mit einem Werk beschäftigt. Als Autor wird ja auch schon derjenige bezeichnet, der Webseitentexte verfasst. Das Thema ließe sich in den Kommentaren super diskutieren, ich denke die Sichtweisen gehen da auseinander.
🐱 Das ist tatsächlich sehr interessant und habe seit deiner Frage beinahe täglich darüber nachgedacht. Ja, das ließe sich wirklich super diskutieren.
🐧 Wie viel Recherche steckt in deinem ersten Werk „George – der Mann der sich selbst verlor“?
🐱 Gar nicht viel, um ehrlich zu sein. Die Albträume sind meine eigenen. Ich habe bis dato ausschließlich Bücher gelesen, die von Männern aus der Perspektive eines Mannes geschrieben wurden. Vielleicht könnte man das als Recherche bezeichnen, da ich somit viel über die Gedanken- und Gefühlswelt von männlichen Protagonisten gelernt habe.
🐧 Wenn ich den Klappentext zu dem Buch lese, dann erfahre ich etwas über eine gewisse Schwere, über verschwimmende Wahrnehmungen zwischen Realität und Traum. Ich erfahre aber nichts über die Handlung als solches, ist das ein Geheimnis?
🐱 Den Klappentext habe ich zwar erstellen lassen, aber ich habe ihn ja auch so abgesegnet. Die Handlung ist spannend und die Ankündigung Dessen würde bestimmt einige LeserInnen anziehen. Wenn man mein Buch liest, sollte man allerdings vorher wissen, worauf man sich einlässt. Eine Bloggerin hatte zum Beispiel geschrieben, dass sie das Buch verstört zurückgelassen habe. Neben den detaillierten Beschreibungen der Albträume muss George so Einiges erleiden. Ich denke, dass die Geschichte vordergründig einfach ein Familiendrama ist. Deshalb passte mir diese Beschreibung sehr gut. Wahrscheinlich ist es auch einfach die Sorte Klappentext, die mich als Leserin ansprechen würde.
🐧 Wie bist du zu dieser Geschichte gekommen?
🐱 Ich hatte zu der Zeit nach einem Thema für eine neue Geschichte gesucht. Ein Freund, der Therapeut ist, hatte mich dann darauf gebracht über meine Albträume zu schreiben. Da hatte ich ja ausreichend Material. Ohne großartig darüber nachzudenken, wählte ich dann direkt einen männlichen Protagonisten. Ich hatte vorher bereits zwei Manuskripte verfasst. Eines hatte eine weibliche Protagonistin und das Andere zwei ProtagonistInnen, Mann und Frau. Vielleicht wollte ich nun für Gleichgewicht bei den Geschlechtern sorgen. Im Nachhinein frage ich mich auch, wie ich zu dem Namen und Georges Erscheinungsbild gekommen bin. Ich hatte 2017/2018 mit der Geschichte begonnen, deshalb weiß ich es nicht mehr.
Anfänglich sollte George einfach nur Albträume haben und diese irgendwann nicht mehr von der Realität unterscheiden können. Nach dem ersten Viertel der Geschichte merkte ich dann, dass dies nicht für ein ganzes Buch reichen würde. Somit entstand die erste Wendung. Das Schreiben dieser Geschichte zog sich über mehrere Umbrüche sowie Einflüsse meines Lebens. Zwischendrin kam ich Monate lang nicht zum Schreiben. Als ich mich wieder an den Schreibtisch setzte, war ich gefühlt eine andere Person. Der Zeitraum des Schreibens beinhaltete das Ende meines zweiten Studiums, der Beginn eines Referendariats sowie dessen Abbruch und anschließend meine berufliche Neuaufstellung. Rückblickend hat jede dieser Phasen der Geschichte eine neue Wendung gegeben. Beeinflusst hat mich zudem die Musik von Leonhard Cohen.
🐧 Deine Geschichte spielt in England, wie ist dein Bezug zu unserem europäischen Nachbarn, hast du dort länger gelebt?
🐱 Gelebt, ist leider zu viel gesagt. Durch mein Studium war ich recht häufig in England; meist London und Brighton. Zudem habe ich zwei Praktika in Cambridge gemacht. Dort dürfte ich bei einer sehr liebevollen Gastfamilie leben. Durch sie habe ich viel über die englische Alltagskultur gelernt. Es ist so spannend eine Kultur auf diese Weise hautnah entdecken zu können.
🐧 Du wohnst in Deutschland, hättest du dir vorstellen können in England zu leben?
🐱 Ich habe immer damit geliebäugelt einmal in England zu leben und das tue ich irgendwo auch immer noch. Auf den ersten Blick sieht man nicht sehr viele Unterschiede zwischen zwei europäischen Nationen, die auf einem recht ähnlichen wirtschaftlichen und politischen Stand sind. Durch das ehemalige Empire und andere wichtige historische Geschehnisse haben die Engländer jedoch so ein ganz besonderes Selbstverständnis. Ich spreche hier auch nur von England, da ich den Rest der UK nie bereist/kennen gelernt habe. Sie sind sehr stolz und dass sie ihre Kultur bewahren wollen, ist verständlich. Immerhin dient die Britische Landschaft als Vorlage vieler Romane und wer hätte nicht gerne ein Cottage in Südengland. Es hat so etwas altes, gemütliches, plüschiges und verwunschenes.
Die Engländer (und wahrscheinlich auch der Rest der Briten) sind sehr freundlich und höflich, was mich ehrlich gesagt oftmals überfordert hat. Auch sind sie viel unverbindlicher als wir Deutschen. „With a German you get what you see“, haben mir meine Kollegen gesagt, nachdem sie gemerkt haben, dass wir nicht unfreundlich sind, sondern nur deutlich zurückhaltender als sie. Ich empfinde das sehr Offene dennoch als etwas Positives, denn dadurch habe ich mich sehr schnell wohl gefühlt. Wenn man in London und Cambridge auch nur zeitweise verloren dreinschaut oder man etwas Schweres eine Treppe in der Londoner Tube hochwuchtet, kommt jemand, der Hilfe anbietet. Aus der Stadt, in der ich lebe, kenne ich das nicht. Außerdem vermisse ich es, so gut wie beinahe alles mit Humor zu nehmen. Die Engländer wirken auch in vieler Hinsicht weniger verkrampft.
Ich denke oft an die kleinen Häuser, den derben Humor, die wunderbar schrullige Art der Engländer und sogar an ihr Essen, das echt lecker ist.
🐧 Wird es George auch auf englisch geben und würdest du das selber übersetzen?
🐱 Tatsächlich hatte ich George zunächst angefangen auf Englisch zu schreiben. Ich glaube es war sogar mindestens die Hälfte. Als ich dann aber mein Referendariat abgebrochen hatte, um einem Beruf auszuüben, der mir klar abgegrenzte Zeiten zum Schreiben bietet, entschied ich mich beim Schreiben realistischer/vernünftiger zu werden. Wenn ich es ernsthaft verfolgen möchte, dann in meiner Muttersprache, in der ich einfach gewandter bin. Es ist mein Traum, dass George ins Englische übersetzt wird, und in viele andere Sprachen auch. Wenn ich ihn übersetze, dann aber nur mit einem guten Lektorat.
🐧 Auf deiner Homepage schreibst du über dich, dass du immer schon geschrieben hast. Ich habe nun ein Kinderbuch veröffentlicht, also bietet sich die Frage an, ob bei deinen kleinen Werken auch ein Kinderbuch dabei ist.
🐱 Bevor ich wieder ernsthaft mit dem Schreiben begonnen hatte, habe ich mal mit einer Geschichte für Kinder begonnen. Ich stecke in den letzten Zügen meiner Masterarbeit und hatte ziemlichen Stress mit meiner Betreuerin. An einem wirklich schlimmen Tag habe ich mich dann ins Schreiben geflüchtet, und in die Kindheit. Die Geschichte handelt von einer Prinzessin, die lieber wild und abenteuerlustig sein möchte. Ich werde diese Geschichte definitiv eines Tages zu ende schreiben.
Zur Geburt meines Patenkindes habe ich zudem eine kurze Geschichte geschrieben und sogar ein Buch erstellen lassen.
🐧 Das hast du aber privat geschrieben?
🐱 Die Geschichte für mein Patenkind bleibt privat. Die andere Geschichte könnte ich mir aber durchaus vorstellen zu veröffentlichen.
🐧 Jetzt bin ich natürlich neugierig, kannst du oder magst du dazu etwas verraten?
🐱 Gerne. Ich hatte zu dem Zeitpunkt drei Katzen. Der Kater ist leider letztes Jahr verstorben. Ich habe zu jeder der drei seine zwei frechsten Eigenschaften herausgesucht und zu jeder Eigenschaft eine Zeile verfasst. Die Bilder dazu habe mit Wasserfarben selbst gemalt. Das hat alles richtig viel Spaß gemacht. Anschließend habe ich es dann noch binden lassen.
🐧 Eine letzte Frage, da schwenke ich dann einfach zu Kalle Pinguin, welches ist dein Lieblings-Tier aus unserem Kinderbuch?
🐱 Natürlich der Löwe. Ich liebe ohnehin Katzen, aber der Löwe in Kalle Pinguin ist zum einem so süß gezeichnet und zum anderen mag ich, dass er auf die anderen aufpasst.