Interview-Partner: Simone Veenstra [Autorin]
🐧 Hallo Simone, lass uns über New York reden, wann und wie lange hast du in New York gelebt?
🤹🏽♀️ Ein paar Monate am Ende meines Studiums. Die waren wunderbar, inspirierend und unglaublich. Nur folgte ich damals meiner ersten großen Liebe. Mein Englisch war okay und wurde zunehmend besser, trotzdem war es nun mal weder meine Mutter- noch meine Vatersprache. Für jemand, die unbedingt schreiben wollte, ein echtes Problem. Oder besser: Nicht zu machen. Verrückterweise schreibe ich inzwischen unter anderem auf Englisch oder übersetze. Damals aber traute ich mir das zu Recht noch nicht zu.
🐧 Warum habe ich dich nach New York gefragt, nun, ich habe New York als spannende Erinnerung aus meinem Praxissemester aus dem Studium in Erinnerung. Die sieben Monate, die ich dort verbracht habe waren in vielerlei Hinsicht interessant und als ich dann mitbekommen habe, dass du dort ebenfalls gelebt hast...
Ich habe es vor allem als unheimlich schnell empfunden. Wie war die Zeit in New York für dich?
🤹🏽♀️ Lustig, ich fand es eigentlich eher entspannt. Obwohl wirklich viel in kurzer Zeit passierte – neue Menschen, Praktika, Workshops, Partys, wilde Diskussionen über „Wohin geht der Film?“. Ein Teil von mir dachte, ich könnte bleiben und glücklich werden. Vielleicht hätte das auch funktioniert. Aber dann wäre ich vermutlich nicht Schriftstellerin geworden.
🐧 Du bist aber immer mal wieder in New York und an vielen anderen Orten auf der Welt. Wie darf ich mir das vorstellen, verschlägt es dich dann gleich für eine ganze Zeit dort hin oder bist du dort für eine recht kurze Zeit, arbeitest du bekommst eher weniger von Land und Leuten mit?
🤹🏽♀️ Du hast Recht, ich bin viel unterwegs und reise, nur meist hat das weniger mit Urlaub zu tun … Mein kleiner Cousin, der mich neulich begleitete, weil sich seine eigene Urlaubsplanung zerschlug, grummelte irgendwann entnervt: Kannst du nicht ein mal nur sein?
Kann ich wohl nicht. Was vermutlich daran liegt, dass ich die meiste Zeit reise, um zu recherchieren. Das interessiert mich wirklich. Dann habe ich vorher schon viel gelernt, besuche Bibliotheken, Archive und Museen, interviewe Menschen zu einem Thema. Und dazwischen hatte ich bisher immer das große Glück, dass sich daraus etwas Weiteres ergab. Mein Lieblingsbeispiel ist Neuseeland. Dort bin ich mit drei Aufträgen hingereist. Aber schon während des zweiten Interviews hat es geklickt und das Ergebnis war, dass ich vier Monaten lang weitergereicht wurde. Von einer Interviewpartnerin zur nächsten und letztendlich mit sehr viel mehr Artikeln als angedacht und einem Romanexposee zurückkam.
Für meinen Roman „Auf nach Irgendwo“ war ich ein viertel Jahr in Kroatien. Ein Teil davon war ein Aufenthaltsstipendium vom Goethe-Institut, ein Teil blieb ich privat länger bei Menschen, die ich kennen gelernt hatte. Und ein Teil war das Abreisen exakt der gleichen Route wie meine beiden Hauptfiguren.
2021 war ich – natürlich unter erschwerten Bedingungen - viel in den Landesarchiven von Niedersachsen aber auch einen Monat zum Arbeiten auf Norderney. Dieses Mal lernte ich nicht so viele Menschen wie sonst kennen aber ich tauschte mich mit Archivarinnen und Archivaren aus. Ich genieße es sehr, so arbeiten zu können: nicht nur zuhause sondern auch unterwegs.
🐧 Du schreibst Kinderbücher, aber auch Romane und Jugendromane, Drehbücher, arbeitest für Hörspiele, Games, interaktive Medien und Filme. Da frage ich doch einfach mal zu den Games, interaktiven Medien und Filmen, wie sieht deine Arbeit in diesem Beriech aus?
🤹🏽♀️ Das lässt sich schwer voneinander trennen. Dass mich Wooga als Headautorin für ihr Game Agent Alice angefragte, hatte sicher etwas damit zu tun, dass ich zu der Zeit bereits viele Jahre Drehbücher schrieb. Wer mit mir ein interaktives Projekt macht, tut das auch deshalb, weil es von Vorteil ist, dass ich Workshoperfahrung habe und mich ebenfalls in Prosa, TV, Hörspiel und Games auskenne. Mein Anfang lag im Film- und TV-Business, dort habe ich viel gelernt aber ich fand so viel anderes auch spannend. Also habe ich schnell damit begonnen, zwischen verschiedenen Medien und deren Herausforderungen hin und herzuwechseln. Erst in den letzten paar Jahre habe ich begriffen, was für ein Vorteil das sein kann.
🐧 Wie sieht denn so ein Schreibtag bei dir aus?
🤹🏽♀️ Momentan schreibe ich viel alleine – aber ich saß auch schon in etlichen Writer’s Rooms, Storyliner-Gruppen, Dialogbuch-Räumen oder in Großraumbüros, damit der Weg zwischen Programmierung, Design und Inhalt so kurz wie möglich ist. Auch wenn mein Lieblings- Arbeitsrhythmus einer ist, der nur als Freiberuflerin gut einzuplanen ist: Morgens lese ich gerne, dann gehe ich zwei bis drei Stunden mit unserem Hund (wobei übrigens ganz viele Ideen entstehen). Am Schreibtisch sitze ich erst ab eins oder zwei – je nach Deadline oder Lust dann aber auch zwischen 8 und 10 Stunden … Meine Familie und ich haben dafür inzwischen eine Verabredung: Montags und Mittwochs darf ich so lange machen wie ich will. Dienstags, Donnerstags und Freitag ist zwischen sechs und acht Uhr Schluss und die Wochenenden sind Familientage.
🐧 Wonach wählst du deine Themen aus oder bekommst du gezielt Aufträge zu bestimmten Themen?
🤹🏽♀️ Beides. Und alles dazwischen. Vielleicht hat auch das etwas mit meinen Anfängen und dem Film- und Fernsehbereich zu tun. Da verstehst du schnell: Es geht darum, das Beste für die Figurenführung und die Geschichte zu finden, nicht für dein eigenes Ego. Da ist es unerlässlich, kooperativ zu arbeiten. Und du gewöhnst dich daran, dass nicht alles aus einer Hand kommen muss.
Trotzdem gibt es natürlich Ideen und Geschichten, die meine eigenen sind. Die arbeite ich dann aus und meine Agentin findet dafür einen Verlag oder eine Produktionsfirma. Aber ich freue mich auch immer, wenn ich angefragt werde, irgendwo einzusteigen. Sei es in Writer‘s Rooms oder als Dramaturgin für fertige Texte, als Autorin für Grundideen, die bisher noch nicht durchdacht sind, als Lektorin oder Übersetzerin. Ich mag neue Projekte und Herausforderungen und die müssen nicht zwangsweise aus meinem Kopf kommen. Ich finde: Die Mischung macht’s! 🙂
Ein kleines Beispiel: Ich stecke gerade im Lektorat zu meinem nächsten Roman. Er spielt in den 60gern und hat ein sehr ernsthaftes Grundthema. Dazwischen schreibe ich mein erstes Bilderbuch und weiterhin Drehbücher für „Der kleine Hui Buh“ und „Hedda Hex“. Beides sind Kinder-Hörspielserien, die ich mit der Producerin Hilla Fitzen und meiner Kollegin Ulrike Rogler auf eine Anfrage hin entwickelte und die unglaublich viel Spaß machen. Womöglich brauche ich die Abwechslung, um gesund zu bleiben.
🐧 Jetzt habe ich so viel über das Schreiben gefragt, wie sieht das mit den Bildern aus?
Illustrierst du deine Kinderbücher selber?
🤹🏽♀️ Von mir illustrierte Kinderbücher würden sich nur in der expressionistischen Kunstecke verkaufen! Ich kann nicht mal einen geraden Strich ziehen. Umso begeisterter bin ich, wenn es jemand anderes für mich tut. Mit den Illustrationen von Màriam BenArab beispielsweise für die Kinderbuchserie „Käthe“ von Anke Loose und mir, würde ich mir am liebsten die Wände tapezieren. Um ehrlich zu sein hängt auch ein Poster bei mir im Büro...
🐧 Hast du ein Vorbild?
🤹🏽♀️ Mein allergrößtes Vorbild? Meine Oma Jantina. Ihr habe ich meinen ersten Roman „Sind dann mal weg“ gewidmet und die Hauptfigur dort ist eigentlich sie. Sie ist eine sehr taffe Frau (musste sie auch schon von klein auf sein), zielstrebig, praktisch und entschlossen. Zeitgleich aber auch lustig, ein bisschen verschroben und auf eine etwas schroffe, unverhoffte Art unglaublich liebevoll.
Ein Beispiel: Als ich mein Seepferdchen machen sollte (und nicht wollte, weil ich als Kleinkind im Wellenbad mal sehr viel Wasser schluckte, bevor mein Vater mich endlich rausfischte), sagten alle: Naja, dann warten wir einfach noch ein Jahr. Nicht meine Oma. Meine Oma entschloss, gemeinsam mit mir das Seepferdchen zu machen. Ich war 5, sie über 50 – schwimmen konnten wir beide nicht. Aber sie sagte, wenn wir das jetzt gemeinsam lernen, könnten wir beim nächsten Familienurlaub auch zusammen ins Meer.
Und wenn wir nach Schriftsteller*innn gucken, dann steht auf meine Vorbildliste unbedingt Tove Jansson und Astrid Lindgren. Wenn ich mir eines wünschen dürfte, dann dass ich auch mit 80 noch Bücher schreibe in einem Zimmer mit Blick auf einen Fjord. Natürlich nicht alleine...
🐧 Wer sich auf deiner Homepage tummelt, der bekommt einen Eindruck davon wie viel du machst. Ist die Menge an Werken einfach komprimiert über die Jahre oder bist du so ein bisschen Workaholic?
🤹🏽♀️ Letzteres, womöglich? Aber ich wünschte, es gäbe dafür einen Begriff, der besser passt. Wenn wir Workaholic sagen, schwingt immer auch unterschwellig das Thema Sucht mit und die Tatsache, dass dafür anderes, ebenso wichtiges vernachlässigt wird. Ich gebe dir absolut Recht, ich arbeite viel und an unterschiedlichen Projekten. Aber: Mir Geschichten auszudenken, damit etwas anzufangen, sie zu schreiben, andere zu lektorieren, zu übersetzen, mich generell damit zu beschäftigen, macht mich wirklich, wirklich glücklich. Und ich habe darüber hinaus noch das Glück, mit einer Frau verheiratet zu sein, die das nicht nur versteht, sondern auch an mir mag.
🐧 Dann würde ich das Wort Leidenschaft einwerfen und beschreibe damit, dass du mit vollem Herzen an deinen Texten sitzt. Und du scheinst die Gabe zu haben mit Text umgehen zu können, schließlich hast du auch deine Freizeit. Was machst du, wenn du nicht arbeitest?
🤹🏽♀️ Neben dem lustigen und tollsten Hund Herrn Paule, mit dem ich ob Sonne, Regen, Schnee oder Eis täglich ein paar Stunden draußen unterwegs bin und verrückte Dinge übe, während ich über Projekte nachdenke, lese ich gerne. Und weil ich das inzwischen in mehreren Sprachen tue, komme ich kaum hinterher 🙂 Ansonsten bin ich ein absoluter Serienjunkie und mag storybasierte Rollenspiele (Überraschung!), die wir mit Freunden spielen Ich koche gerne (Ottolenghi hat mein Leben verändert) für viele Menschen (in letzter Zeit eher wenigere).
Ich fotografiere gerne, weshalb ich dafür auf Instagram einen zweiten Account habe, der kaum etwas mit meinen Büchern zu tun hat. Und ich freue mich jetzt schon auf Zeit, da ich mit Freunden wieder Berliner Craftbier in der Kneipe um die Ecke trinken kann und mit meinen Eltern in fränkische Biergärten gehen. Abgesehen davon freue ich mich immer über Lesungen– die für meine Erwachsenenromane, nach denen ich mich in wilden Diskussionen wiederfinde. Und die für meine Kinderbücher, während denen ich mit meinem Publikum gaaaaanz viel Lärm mache und ungebremst Spaß habe! Aber auch darauf müssen wir noch etwas warten…
🐧 Verrate uns doch einmal den Instagram Account für deine Fotos.
🤹🏽♀️ @simone_veenstra (einfach das „_autorin“ weglassen)
🐧 Du reist viel, kennst viele Menschen, triffst immer wieder welche. Sicherlich wirst du nicht zu allen einen dauerhaften Kontakt halten können.
Hast du den Kontakt nach Neuseeland noch?
🤹🏽♀️ Ich erhalte immer noch einige private Newsletter und lese dort von Neuigkeiten, Entwicklungen, Veränderungen, man winkt, gratuliert und kommentiert sich über Social Media, aber so persönlich wie vor Ort und die erste Zeit danach ist es natürlich nicht mehr. Das Kontakthalten mit meinen europäischen Freunden und Bekannten ist da aber beispielsweise natürlich auch etwas einfacher. Kein großer Zeitunterschied und wenn man sich besuchen will, muss man nicht einmal um die halbe Welt...
🐧 Gibt es so etwas wie einen Lieblingsort für dich, oder fühlst du dich schlicht in der Welt zu Hause?
🤹🏽♀️ Ich bin ein Meerkind (meine Großeltern wohnten früher am Meer), großer Fan von Fischen, Seepferdchen, Seeigel und -Gurken, Oktopussen, Sandwürmer, Pinguine, Quallen (solange sie nicht auf mir sitzen) und, und, und.
Es muss nicht der Pazifische Ozean oder die Südsee sein. Fast für jedes große Projekt war ich zum Arbeiten einige Wochen am Meer – viel Nordsee, noch mehr Ostsee. Rügen im Winter ist einer meiner Lieblingsorte zum Denken. Am Tollsten wäre es, dort zu sein und von dort aus zu reisen.
🐧 Mein kleiner Pinguin Kalle reist zumindest ein kleines Stück durch die Welt, er schaut sich Afrika oder genauer die Tiere in Afrika an. Welches ist dein Lieblings-Tier aus unserer Kalle Pinguin Kinderbuch Geschichte?
🤹🏽♀️ Ich finde den Elefanten zeichnerisch verblüffend und ganz toll – wie so ein komplettes Tier in ein Rechteck passt!!!
Eines meiner Lieblingstiere kommt bei euch dann am Schluss: Tintenfische finde ich faszinierend. Wo andere sich im Winter auf ihrem Monitor Kaminfeuer einstellen, kann ich mir das ganze Jahr über zur Entspannung Unterwasseraufnahmen mit Tintenfischen ansehen 🙂 Ein Hoch auf National Geographic.
Ach, und wem es ähnlich geht: Der Film „Mein Lehrer der Krake“ hat mich sehr fasziniert.